7 Tipps für eine positive Streitkultur im Team

„Ich weiß, dass ich recht habe, Frau Weiler. Aber ich weiß nicht, ob ich diese Sache bis zum Schluss durchziehen soll. Soll ich diesen Streit wirklich bis zum Ende austragen?“ So begann eine Abteilungsleitung ihr Gespräch im Coaching. Ich fragte sie, was sie daran hindere, diesen Streit zu Ende zu bringen. Sie meinte es wäre ja gar kein Streit, es ginge ja nur um die Sache und der Geschäftsführer dürfe darüber entscheiden, wie er wolle. Das ist schließlich seine Aufgabe.

Es gab einen Streit zwischen zwei Positionen: Geschäftsführung und Abteilungsleitung waren stark emotional an das Thema gebunden. Die Positionen waren so unterschiedlich, wie es kaum hätte sein können. Es musste eine für das Unternehmen tragbare Lösung her, die für beide wahrscheinlich einen Kompromiss und ein Nachgeben erforderte. Jedoch war es wichtig, dass eine Entscheidung getroffen wurde, die beide tragen konnten. Das Thema war so wichtig, dass es sich für beide und das Unternehmen lohnt, dass sie sich darum stritten und alle Argumente nicht nur gehört, sondern auch verstanden wurden, so dass erst dann eine Lösung gefunden wird, wenn alles Wichtige auf dem Tisch liegt. In diesem Konflikt ging es nicht um die Beziehung der beiden. Sie verstanden sich ausgezeichnet und die Zusammenarbeit verlief erfolgreich. Ob das Projekt nun umgesetzt werden sollte oder nicht war zwischen den beiden ein Streitthema, bei dem es um die Zukunft des Unternehmens ging. Würden die sachlichen Argumente der Abteilungsleitung nicht in die Entscheidung der Geschäftsführung einfließen, dann hätte diese eine Entscheidung getroffen, die für das Unternehmen großen finanziellen Schaden angerichtet hätte.

Gerade in Führungsteams braucht es eine positive Streitkultur, um nachhaltige und zukunftsträchtige Entscheidungen für das Unternehmen zu treffen.  Deshalb 7 Tipps, wie Sie in Ihrem Leitungsteam eine positive Streitkultur erreichen können.

Mit diesen 7 Tipps zu einer positive Streitkultur in ihrem Team:

Finden Sie den richtigen Zeitpunkt:

Immer wieder fragen mich die Teilnehmer in meinen Teamcoachings, wann denn der richtige Zeitpunkt sei, um etwas Kritisches anzusprechen. Einen genauen Zeitpunkt gibt es nicht, aber eine wichtige Grundregel ist: Je früher, desto besser. Je länger man mit einem Streitgespräch wartet, umso mehr Emotionen laden sich auf und die Dringlichkeit vergrößert sich. Dies führt dann dazu, dass die Beteiligten entweder nicht den richtigen Rahmen finden oder es aus ihnen herausplatzt und die Emotionen überhandnehmen. In diesem Zusammenhang sind die Beteiligten kaum bereit sich inhaltlich den Argumenten des anderen zu öffnen. Die Differenzen werden immer schlimmer und aus einem Streit wird ein handfester Konflikt.

Schaffen sie gemeinsam für alle einen sicheren Raum, in dem Streiten möglich wird:

Hiermit ist auch ein Ort gemeint, dem es dem Führungsteam ermöglicht, sich über wichtige Sachthemen streiten zu können. Mitarbeiter irritiert es oft, wenn Führungskräfte sich streiten und nicht einer Meinung sind. „Die wissen ja selbst nicht, wo es langgehen soll.“, „Die da oben sind sich selbst nicht grün.“ oder „Wo sollen die denn jetzt, die wissen es doch selbst nicht was sie wollen.“ Dies sind Beispiele für den Wunsch der Mitarbeiter nach Einigkeit im Führungsteam. Deshalb macht es oft Sinn bei Themen auch mal aus dem Unternehmen herauszutreten, bei denen sich das Leitungsteam noch nicht einig ist. So können sie sich einen neutralen und geschützten Ort wie zum Beispiel ein Hotel oder Coworking Place suchen. An solch einem Ort dürfen sich alle unbeobachtet von den eigenen Mitarbeitern fühlen. Der Ortswechsel hat zudem den Vorteil, dass man losgelöst vom Alltag Projekte, Themen und Strategien neu denken kann. Gleichzeitig soll ein sicherer Raum zum Streiten die Gewissheit vermitteln, dass ich nicht von der Gemeinschaft des Leitungsteams ausgeschlossen werde, wenn ich meine Position klar und deutlich vertrete. Sondern dies als wichtiger Beitrag zur Entscheidungsfindung  von allen wahrgenommen wird. Diese psychologische Sicherheit eines jeden Teammitglieds ist wichtig, um einen offenen Streit auszutragen. Sonst steht bildlich ein Elefant im Raum, jeder weiß, dass er da ist, aber keiner spricht darüber. Der Elefant versperrt die Sicht und sobald er eine kleine Bewegung macht zerbricht er Wertvolles. Dieses Vertrauen, ein wertvolles Mitglied des Teams zu sein, auch wenn man sich mal nicht einig ist, braucht es für einen Streit, in dem die Emotionen auch mal hochkochen dürfen.

 

Vergessen Sie Hierarchien

Sobald die Hierarchie eine Rolle spielt, dies ist der Fall, wenn die Geschäftsführung in ihrer Rolle als Geschäftsführung wahrgenommen wird, legen sich viele oft eine Selbstzensur auf. Diese hindert sie daran auch aktiv mit der obersten Führungsebene zu streiten. Dies muss nicht immer an der Geschäftsführung liegen, es gibt immer noch viele Menschen, die den Glaubenssatz vertreten, dass einer hierarchisch höher gestellten Person nicht widersprochen werden darf. Gerade hier braucht es aber einen offenen und ehrlichen Diskurs. Viele Geschäftsführer beklagen sich, wenn sie merken, dass ihre Führungskräfte nicht die eigene Meinung äußern und versuchen es ihnen recht zu machen oder den einfachen und vielleicht auch bequemen Weg der Zustimmung gehen. Deshalb ist es wichtig, dass in einem Streit nicht die Funktion einer Person eine Rolle spielt und wer diesen Streit gewinnt, sondern die besten Argumente relevant sind. Hierfür sind Leitungsteam und Geschäftsführung verantwortlich, dass diese Blockaden im Kopf wegfallen. Das Leitungsteam braucht auch mal Mut und muss die vielleicht gewohnten Pfade von Bequemlichkeit und Konformität verlassen. Genauso sollte die Geschäftsführung den bequemen Weg des Ober sticht Unter verlassen, Machtverhältnisse und eigene Eitelkeiten loslassen und sich ganz auf die Diskussion und den Austausch einlassen. Dazu ist es manchmal besser zu schweigen und den anderen den Vortritt bei der Meinungsäußerung zu lassen. Wenn diese ihre Meinung äußern, ist es wichtig, diese nicht als Angriff auf die eigene Autorität zu werten, sondern als echtes Interesse, das Unternehmen und die Sache voranzubringen.

Keine Konsequenzen

Es ist wichtig, dass es keine Konsequenzen für Meinungsäußerungen oder einem ausgefochtenen Streit gibt. Dies gilt für alle Beteiligten. Selbst wenn ich mich mit meiner Meinung nicht durchsetzen konnte ist es egal, ob ich Geschäftsführung oder Mitarbeiter bin. Ich darf den anderen nicht spüren lassen oder ihn dafür bestrafen, dass seine Argumente mehr in die Entscheidung eingeflossen sind als die eigenen. Dies kann schnell und auch verständlicher Weise als eine verlorene Schlacht empfunden werden. Doch genau das gehört zu Teamgeist dazu. Auch mal im Interesse des Anliegens des Teams und des Unternehmens sich mit seinen eigenen Ansichten zurückzunehmen. Dazu gehört auch, dass niemand, nachdem man sich nach einem Streit auf eine Lösung verständigt hat, negativ aus dem Meeting herausgeht und sich über die gefundene Lösung aufregt und damit vielleicht auch Kollegen mit der eigenen negativen Haltung zur gefundenen Lösung ansteckt. Die große Kunst ist es, dass man selbst nicht alles persönlich nimmt, den Mut hat auch nach einem heftig ausgetragenen Streit, in dem auch viele Emotionen eine Rolle spielten, wieder versöhnlicher Töne anzustimmen und nach vorne zu blicken. Es ist wichtig, die sich aus der Lösung ergebenen Chancen zu sehen und nicht der vermeintlich vergeblichen Zeit und dem eingesetzten Engagement nachzutrauern oder im schlimmsten Fall auch noch nachzutreten und immer wieder mit Anmerkungen und Spitzen die getroffene Entscheidung zu torpedieren.

Höflichkeit und Respekt als innere Haltung bewahren

Ein Streit unterscheidet sich gerade dadurch, dass wir emotional viel stärker in ein Thema eingebunden sind, als uns selbst lieb ist. Dies kann, gerade wenn man selbst im Stress ist, dazu führen, dass man schnell die Regeln der Höflichkeit und des Respektes verliert. Keine leichte Übung sich immer bei hoher Emotionalität selbst zu steuern und dem ersten Impuls nicht nachzugeben.

Dazu braucht es zunächst die Wahrnehmung dieser starken Emotionen.

Nur durch die Wahrnehmung kann ich auch die Emotionen steuern. Dazu gibt es gerade aus der Resilienzforschung und Stressbewältigung viele Tipps. Einige möchte ich hier kurz aufzählen:

- dreimal tief durchatmen

- sich kurz von seiner eigenen Position wegbewegen, indem man sich räumlich kurz bewegt

-sich eine kurze Pause verschaffen

- die Emotionen annehmen und sich selbst gut zureden oder sich Zuspruch von anderen einholen

- aus der Vogelperspektive die Situation beobachten

- sich durch Floskeln, wie „darüber muss ich kurz nachdenken“ Zeit verschaffen

Auch schon im Alltag sollte man für Stressabbau sorgen, zum Beispiel durch Sport, Mediation und ein stabiles soziales Umfeld oder gesunder Optimismus.

Kritische Fragen zulassen und nicht als Angriff werten

Fragen haben heute in der Kommunikation einen hohen Stellenwert: „Wer fragt der führt“, „Fragen signalisieren Interesse und lassen dem anderen Freiraum seine Sichtweise zu erklären“ oder „Fragen führen dazu, dass der andere von selbst auf die Lösung kommt“. Das ist alles richtig und ergänzend dürfen auch kritische Fragen gestellt werden. Diese sollen hinterfragen, ob man im Team und mit dem Gruppendenken wirklich auf der richtigen Spur ist oder sich ein Denkfehler eingeschlichen hat. Solche Fragen sollten nicht als Angriff wahrgenommen werden. Sondern als Möglichkeit, Bedenken oder kritische Sichtweisen zu äußern und die Gruppe dafür zu sensibilisieren. Sofern dies gelingt, kann aktiv nach Lösungen oder sogar Innovationen gesucht werden. Auch die Frage, ob Veränderung nötig ist oder die neuesten (Management-)Methoden für unser Unternehmen auch wirklich sinnvoll sind, sollten erlaubt sein. Selbst wenn diese im Vergleich zum direkten Wettbewerber erfolgreich waren oder sind. Nicht immer sind die Voraussetzungen und Kriterien die gleichen und führen damit auch zum gewünschten Ergebnis.

Lassen Sie sich Zeit für die Lösung

Jeder der zu einem Thema etwas mitzuteilen hat, sollte gehört und verstanden werden. Dabei ist es wichtig zu verstehen, worum es ihm geht und was sein Ziel ist. Erst wenn jedes Argument, egal wie absurd es uns zunächst erscheint, ernsthaft geprüft und in Gedanken durchgespielt wurde, kann man an eine Lösung herantreten. Somit gelangen alle zu einer vertretbaren und annehmbaren Lösung. Ein weiterer großer Vorteil ist es, wenn man sich Zeit lässt und ggf. auch Pausen zwischendurch zulässt. Diese Pausen können helfen, um kreative Ideen zu finden und diese zu prüfen.

Fazit

Nicht jeder Streit ist verlorene Zeit. Wenn man den Streit nutzt, um sich selbst und andere besser zu verstehen, dann kann ein guter und gepflegter Streit zu hilfreichen Lösungen und Innovationen führen. Dies geschieht durch eine Erweiterung des Blickwinkels auf bestimmte Projekte und Themen. Zusätzlich werden die Beziehungsebene und das Vertrauen zueinander gestärkt, da man gemeinsam eine schwierige Situation gemeistert hat. Jedoch muss auch jeder selber Sorge tragen, dass der Streit nicht zum Konflikt wird. Dies könnte sonst zu negativen Emotionen und verhärteten Positionen führen. Ebenfalls besteht die Möglichkeit, dass ein ernsthafter Konflikt entsteht. Deshalb wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Streiten, und warne gleichzeitig davor diesen Streit zu einem Konflikt werden zu lassen. Wenn Ihnen dies gelingt, dann haben sie sehr gute Möglichkeiten aus einem Streit etwas Positive für sich, für das Miteinander und das Unternehmensergebnis zu gewinnen.

Letzte Änderung am Freitag, 22 Januar 2021 07:12
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